Justizcheck "fast 'n' sloppy"
Zitate aus zwei interessanten Artikeln, die zwei unterschiedliche Gerichtswesen in zwei unterschiedlichen Staaten aus unterschiedlichen Perspektiven ... tja, soll ich schreiben "beschreiben"? "besprechen" würde besser passen, "kritisieren" ginge auch - je nachdem, wie fim den Begriff "kritisieren" auffassen will. Egal, einfach lesen, wenn's interessiert - die Artikel aus denen zitiert wird.
R-Land
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Perewesentsew: Wir sind gläubige Menschen, Christen, wir können nicht einfach an der Ungerechtigkeit vorbeigehen, sie ignorieren. Unsere Aufgabe ist es, Menschen in Schwierigkeiten zu helfen. Die meist jungen Männer, die nach den Protesten in Moskau verurteilt wurden, stecken wirklich in Schwierigkeiten. Wir sind keine Juristen, aber in ihren Fällen ist die Ungerechtigkeit so offensichtlich. Wir tun, was wir können: Wir beten für sie und versuchen die Öffentlichkeit auf die Fälle aufmerksam zu machen. Wenn wir es nicht tun, wird es schlimmer werden und noch mehr solcher ungerechter Strafen geben.
SPIEGEL: Was genau finden Sie ungerecht?
Perewesentsew: Nehmen wir den Fall von Pawel Ustinow ...
SPIEGEL: ...den 24-jährigen Schauspieler, der zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt wurde, weil er angeblich bei seiner Festnahme einen Sicherheitsbeamten an der Schulter verletzt haben soll.
Perewesentsew: Es ist offensichtlich, dass es sich um einen Fehler des Gerichts handelt. Videos zeigen, dass er nicht nur keinen der Beamten schwer verletzt hat oder verletzen wollte. Mehr noch, er war nur zufällig vor Ort, und als sie hinter ihm herrannten, versuchte er wegzulaufen. Das als einen Angriff auf einen Beamten zu betrachten, ist eine sehr ungewöhnliche Interpretation der Situation. Es ist eindeutig ungerecht. Hätte er dafür eine Geldstrafe bekommen, wäre es schon schlimm gewesen, aber dass er dafür zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, ist schrecklich.
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SPIEGEL: Haben Sie noch Vertrauen in das Gerichtswesen in Russland?
Perewesentsew: Ja, aber es nimmt mit jedem dieser Fälle ab. Mir als Priester und Bürger ist es wichtig, dass Gerichte in unserem Land eine gewisse Autorität haben, nach dem Gesetz handeln und nicht einfach bestrafen. Es ist eben nicht klar, warum gerade dieser junge Mann Ustinow verurteilt wurde. An Stelle der Männer in Moskau hätte jeder sein können, auch meine Kinder. Ich will das nicht. Es gibt so viele ungerechte Entscheidungen, nicht nur nach den Protesten in Moskau.
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SPIEGEL: Fürchten Sie nun keine Konsequenzen?
Perewesentsew: Auch ich habe Angst. Ich verstehe sehr gut, dass man einen Grund finden könnte, mir nun als Priester politische Aktivität vorzuwerfen und mich dafür zu bestrafen. Aber ich bin krank, habe einen Hirntumor, wenn kein Wunder passiert, bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Wovor soll ich mich also fürchten? Ich hoffe sehr, dass keiner der Priester, der den Brief unterzeichnet hat, Probleme bekommt. Das wäre auch ungerecht - und die Ungerechtigkeit würde nur noch größer.
Russland: Gespräch mit Erzpriester Wjatscheslaw Perewesentsew - SPIEGEL ONLINE
D-Land
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Ziemlich schematisch, will mir scheinen, verfährt auch der Beschluss des LG Berlin. Wenn man in den Entscheidungsgründen aus den "allgemeinen Grundsätzen" alles herausfiltert, was mit dem Fall von vornherein nichts zu tun haben kann, bleibt als "Obersatz" zur Subsumtion nicht sehr viel übrig: Man muss zunächst entscheiden, ob es sich bei den betreffenden Äußerungen um "Meinungen" oder um "Tatsachenbehauptungen" handelt. Das ist hier ziemlich leicht: Durchweg liegen "Meinungen" vor. Dann muss man in einem Einerseits-Andererseits-Modus einen Maßstab für die Bewertung finden: Beleidigend kann nicht schon alles sein, was jemand als beleidigend empfindet, wenn es ihn selbst trifft. Es geht um allgemeinere, objektive Maßstäbe. Hier sind Gesichtspunkte der öffentlichen Kommunikation, ihrer Rolle und Bedeutung für das Zusammenleben, den Staat, den Schutz von Mehrheiten, Minderheiten und Einzelne zu bedenken. Polemische Sachkritik ist anders zu bewerten als reine Erniedrigung ohne sachlichen Zusammenhang. Die Gerichte nennen Letzteres "Schmähkritik". Sie ist im Grundsatz verboten; nur in Ausnahmefällen kann sie hinzunehmen sein. All das hat das Landgericht, wenn auch unter allerlei überflüssig abgeschriebenem Brimborium verborgen, durchaus zutreffend gesehen.
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Äußerungen, die Gegenstand des Antrags von Frau Künast sind, gehen über sachbezogene Beschimpfung teilweise hinaus und bewegen sich insoweit auf einer anderen qualitativen Ebene: Charakterisierungen als "Drecks-Fotze" oder "Stück Scheisse" oder Hinweise wie der, eine Person sei "als Kind wohl ein wenig viel gefickt" worden, lösen sich auch bei großzügiger Betrachtung von dem, was man als "sachlichen" Hintergrund ansehen könnte. Sie dienen erkennbar ausschließlich dazu, möglichst stark herabwürdigende Verletzungen der persönlichen Ehre zu verursachen. Es ist nicht erkennbar, was derartige Beschimpfungen für einen wie immer gearteten kommunikativen Wert haben könnten, welcher über ihr bloßes formales Vorhandensein hinausginge. Die Stärkung der grundrechtlichen Position, die mit der Zulässigkeit dieses schlichten Vorhandenseins bewirkt ist, wird offenkundig zugleich aufgehoben und in ihr Gegenteil verkehrt durch den Schaden, den sie für die Kommunikationsfreiheit insgesamt bewirken. Konkreter: Die Möglichkeit, "Halt's Maul!" zu schreien, zeigt unabhängig vom Inhalt die formale Freiheitsposition offener Kommunikation. Ihre exzessiver Missbrauch führt aber dazu, dass inhaltliche Kommunikation für Schwächere unmöglich wird.
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Das Urteil im Fall Renate Künast gegen Facebook - Kolumne - SPIEGEL ONLINE
https://www.spiegel.de/fotostrecke/cartoon-des-tages-fotostrecke-142907.html
X-Land
Kommt verspätet dazu, grade gefunden:
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Im Jahr 2016 wird in Lahore (Pakistan) eine 16-jährige Frau von ihrer Mutter lebendig verbrannt. Ihr Verbrechen lag darin, den Mann ihrer Wahl geheiratet zu haben. Über 1.000 Fälle dieser und ähnlicher Art werden jährlich in Pakistan polizeilich registriert. Die Dunkelziffer ist erheblich höher. Junge Frauen müssen sterben, weil sie sich "moralisch falsch" verhalten. Ein Schutzgesetz wird nicht verabschiedet, weil religiös gebundene Politiker das Parlament blockieren. In der Schweiz gilt ein Tierschutzgesetz, das einem Wellensittich den Anspruch auf eine Lebensgefährtin/Lebensgefährten einräumt. Alles andere wäre unmenschlich. Wenn das Wohlergehen eines Wellensittichs hier geschützter ist als das eines verliebten Mädchens dort, bleibt die moralische und rechtliche Synchronisierung der globalen Verhältnisse ein frommer Wunsch.
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Die Geschichte des Rechts ist das generationenübergreifende Drama einer zerstrittenen Menschheit. Die Topografie von Herrschern und Unterworfenen, Gesetzgebern und Gerechtigkeitssuchern, Richtern und Revolutionären, Bürgern und Bösewichten mag in der metaphorischen Unterscheidung von "Land und Meer" beschrieben werden: Das Recht erdet die aus dem Lot geratene Welt in seinen Sicherheiten, Institutionen, Gesetzeswerken, Rechtsdogmen, Ewigkeitsklauseln, Hochsicherheitstrakten und Ordnungskräften.
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Vor Gericht und auf hoher See | Telepolis
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Auf dass die Herzen iwan in der ganzen Welt des Mensch frei(er) schlagen dürfen! Vielleicht klappt's ja noch in diesem Jahrtausend. Darauf einen guten Schluck Rotwein, Prost!
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